Disproportionale Hilfsbereitschaft

TL; DR. Um spontane Motivationsschübe möglichst effektiv zu nutzen, sollten insbesondere ehrenamtliche Anlaufstellen für diese Schübe dem Konzept von Lastenausgleich beziehungsweise Load Balancing folgen.

Alle zwei bis drei Monate gehe ich Blutspenden. Ich war Student als ich mich von einem Kommilitonen und Arbeitskollegen zur Blutspende überreden lassen habe. Es war mir nicht bewusst wie einfach es ist, sich eben für 15 Minuten plus Wartezeit anzapfen zu lassen und eine gute Tat sowie etwas gutes für den eigenen Körper zu tun. Mein Geheimtipp: Direkt danach auf die Waage stellen und den Fakt ignorieren, dass dir eben 528 Gramm flüssige Lebensnotwendigkeit aus dem Körper gezogen wurden und danach direkt guten Gewissens die Gummibärchen-Packung aufreißen. Die Blutspende ist sicher, überwiegend komplikationsfrei und mit der Aufwandsentschädigung und dem Essen, welches danach zur Verfügung gestellt wird, hat sich das Ganze sowohl früher als auch jetzt gelohnt. Wie Eingangs erwähnt, hat sich die Regelmäßigkeit eingependelt und ich versuche sie aufrecht zu erhalten. Zur Anfangszeit war es vorausgesetzt, dass du keinen Tropfen Alkohol in den vergangenen drei Tagen zu dir genommen hast. So sehr es auch ein Klischee erfüllt, war es als Student gar nicht unbedingt gewährleistet in den letzten drei Tagen abstinent gewesen zu sein. Für diesen Zweck, kannst du das Bier aber drei Tage sein lassen.

Nun habe ich in Hamburg auch das Blutspendezentrum meiner Wahl gefunden und muss mit Erschütterung feststellen, dass das Uniklinikum ständig überlaufen ist. Ich bin dazu übergegangen vorher anzurufen und die letzten fünf Male kam stets die Empfehlung nicht mehr vorbeizukommen, außer ich möchte mindestens 90 Minuten warten. Während einer globalen Pandemie. In einem Warteraum. Mit bis zu 30 Leuten dessen Ort kontinuierlich fluktuiert. Der Andrang ist groß, die Motivation jedoch nicht grenzenlos und an dieser Stelle entscheide ich mich meistens einen oder zwei Tage später zu einer Zeit hinzugehen, die nicht so frequentiert ist. Doch was passiert, wenn du einen Motivationsschub hast? Ich war definitiv bereits in Situationen bei denen ich ein Übermaß an Motivation verspürt habe, irgendetwas zu erreichen, was mich viel Energie und Zeit kosten wird. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist dieser Blog, den ich mir in einem spontanem Schub von Neujahresmotivation aufgesetzt habe und seither mit qualitativ fragwürdigem Inhalt fülle. Lebensverändernde Schübe kommen meistens kurz vor dem Schlafen gehen und plötzlich ist die neue Morgenroutine doch nicht so attraktiv wie am Vorabend eingeredet. Was passiert also, wenn du aus einem derartigen Motivationsschub heraus entscheidest Blutspenden zu gehen und durch den Andrang deines naheliegenden Blutspendezentrums wiederum abgelehnt wirst? Sollte deine Motivation am nächsten Tag verfallen, fehlt dem System ein halber Liter Blut.

Für seine Mitmenschen bluten ist nicht die einzige ehrenamtliche Tätigkeit, der du nachgehen kannst. An diversen Orten und mit diversen Organisationen kannst du Hand anlegen und der Gesellschaft in der du lebst etwas zurückgeben. Ich persönlich kann dir jetzt maximal eine Handvoll ehrenamtlicher Stellen nennen, bei denen du reinschnuppern und direkt danach einsteigen kannst. Vermutlich liege ich damit schon über dem Durchschnitt und habe das den viel zu engagierten Menschen zu verdanken, denen ich in meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten begegnet bin. Nun gehe ich vom Guten im Menschen aus und erwarte mehr Hilfsbereitschaft als bekannte Anlaufstellen an denen diese Hilfsbereitschaft ausgelebt werden kann. Das führt zu disproportionaler Hilfsbereitschaft und schlussendlich zu weniger aktivierter ehrenamtlicher Arbeitskraft und somit zu einem Verlust für unsere Solidargemeinschaft.

Um das Problem anzugehen, kannst du ein einfaches Konzept aus der Netzwerkkommunikation zur Hilfe nehmen. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass mir keine etablierte Lösung für das Problem bekannt ist, ich jedoch auch nicht aktiv danach gesucht habe. Das ist hierbei der springende Punkt. Lösungen, die existieren, aber nicht bekannt sind, können nicht genutzt werden und existieren in der subjektiven Wahrnehmung nicht. In der Netzwerkkommunikation nennt sich das ganze Lastenausgleich oder auch Load Balancing. Um das Konzept kurz zu veranschaulichen, können wir ein Beispiel heranziehen. Stell dir vor, dass du in einer Nachbarschaft mit zwanzig Häusern wohnst in denen jeweils zwei erwachsene Menschen leben. Nun bietest du den Leuten an, dass sie dir einen Besuch abstatten können und einen Händedruck, eine Umarmung oder ein Glas Wasser bekommen. In kurzer Zeit entsteht eine Schlange, denn so sehr du dich auch beeilst, kannst du maximal zwei Personen gleichzeitig die Hand schütteln, nur eine Person umarmen und brauchst einen Moment um ein Glas Wasser herauszugeben. Du bist überfordert und die Schlange wird immer länger. Jetzt kommt die Lastenverteilung ins Spiel. Du und deine Nachbarn verstehen sich prächtig und sie möchten dir Arbeit abnehmen. Nun stellt einer deiner Nachbarn sich vor die Schlange und leitet die Besucher stets an das Haus, welches die kürzeste Schlange hat. Wenn dein Nachbar besonders ausgefuchst ist, merkt er sich, welches Haus welche Aufgaben am besten abarbeiten kann und erzeugt eine bedarfsgerechte Verteilung. Plötzlich ist eure Nachbarschaft gleichmäßig ausgelastet und die anfragenden Besucher erfahren die kleinstmögliche Wartezeit.

Nehmen wir dieses Konzept und wenden es auf die disproportionale Hilfsbereitschaft an, können wir folgendes Erwarten. Wenn alle ehrenamtlichen Anlaufstellen miteinander kommunizieren würden und verknüpft wären, könnten sie deinen Motivationsschub entsprechend umverteilen, umwandeln oder schlichtweg indirekt nutzen. Zum Beispiel kommt die Suppenküche insbesondere an den Feiertagen schnell an ihre Kapazitäten. Nun könnten sie den eifrigen Anwerber abwimmeln oder sie schauen in ihr Netzwerk von Einrichtungen und leiten die Person samt Motivationsschub an eine bedürftige Stelle weiter. Ebenso könnte der Blutspendedienst mich auf eine ihrer anderen Standorte verweisen, sodass ich am Ende des Tages meinen Motivationsschub nutzen konnte. Ein ähnliches Konzept findest du übrigens auch in den meisten Bewerbungsprozessen. Wenn ein Kandidat sich für eine gewisse Stelle bewirbt, diese aber keine Kapazität mehr frei hat, der Kandidat jedoch gut zum Unternehmen passt, wird im internen Netzwerk nach weiteren Verwertungsmöglichkeiten des Bewerbers gesucht. Vielleicht sind wir bald tatsächlich alle derart vernetzt, dass du die Vorteile direkt zu spüren bekommst.

Wurdest du zu irgendeinem Zeitpunkt für eine ehrenamtliche Tätigkeit aus Kapazitätsgründen abgelehnt? Schreibe es mir in die Kommentare!

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