TL; DR. Datingapps funktionieren schlechter als sie könnten, damit du eher gewillt bist Geld für eine verbesserte Leistung auszugeben. Da du aber nicht der einzige sein wirst, ist davon abzuraten und die Erwartungen als normaler Nutzer sollten entsprechend gering sein.
Jeder, der in der heutigen Zeit angekommen ist und nicht gerade der Technik per se agnostisch gegenüber steht, ist in der Lage mindestens eine Datingapp zu benennen. Moderne Probleme benötigen moderne Lösungen. Durch immer geringere Ausprägungen physischer, sozialer Veranstaltungen, Treffen oder Versammlungen war es abzusehen, dass sich Plattformen für das Zusammenbringen von Menschen wie ein Lauffeuer verbreiten. Sei es für gelegentlichen Geschlechtsverkehr, für die Suche nach einem neuen Lebensabschnittsgefährten oder schlichtweg freundschaftlichen zwischenmenschlichen Beziehungen. Du wirst schon deine berechtigten Absichten verfolgen und daran ist auch nichts verwerflich. Jetzt gehören diese Punkte zu den Basisverlangen der Menschen, also können eben jene Bedürfnisse auch ausgenutzt werden. Damit kommen wir bereits zu der großen Kommerzialisierung solcher Plattformen. Da ich über die Jahre hinweg eine Handvoll Apps sowohl in ihren Anfängen als auch nach der Verschmelzung mit den Riesen beobachten konnte, schildere ich hier eine überwiegend auf meine persönliche Erfahrung basierende Entwicklung eben jener Dienste.
Zu Beginn hatte ich durchweg gute Erfahrungen. Ich hab sie überwiegend für knüpfen neuer sozialer Kontakte außerhalb meines fachlichen Dunstkreises genutzt. Die ein oder andere amüsante Geschichte war dabei, doch irgendwann wurden jene Erlebnisse immer rarer. Das hatte mich sehr irritiert, aber diese Verschlechterung des Dienstes ging Hand in Hand mit dem Aufkaufen der initialen Entwicklerfirmen durch einen größeren Konkurrenten. Dieser war meistens Facebook/Tinder. So homogenisierten sich die Datingapplandschaft immer mehr und am Ende ist das Konzept immer das selbe, nur in anderen Farben und Namen.
Wie werden Datingapps kommerzialisiert? Frust! Und möglichst viel davon. Als männlicher Teilnehmer hast du hierbei bereits den ersten Frustfaktor aus der Natur der Sache, die Imbalance der Geschlechterverteilung ist ebenso wie beim üblichen Clubbesuch gegeben, daher wird dein Profil weniger Frauen angezeigt, was wiederum zu weniger Verbindungen zwischen Leuten führt, da dies nur durch eine überproportionale Nutzung der Frauenwelt kompensiert werden könnte und ich an dieser Stelle ohne Belege behaupte, dass das nicht passiert. Um dich von diesem Phänomen zu überzeugen, kannst du eine deiner Freundinnen fragen, wie viele Likes und Matches sie erhält und wie selektiv sie bei der Profilauswahl vorgeht und trotzdem Erfolg hat. Das hatte ich getan und ich war tatsächlich nicht sondern überrascht, denn so funktioniert dieser statistische Effekt.
Es ist kein Zufall, wer dir oder wem du angezeigt wird, zumindest kein ausgeglichener Zufall. Manche Dienste werben explizit damit, dass du dich vorher durch eine Reihe von Bildern des anderen oder gleichen Geschlechts klickst damit deine Präferenzen klarer werden und dir im Optimalfall nur Leute angezeigt werden, die dir zusagen um dein Wohlbefinden bei der Nutzung zu steigern. Andere Apps tun dies wiederum implizit während du sie nutzt. Als jemand der mit seinem wasserstoffblonden Haaren, Grübchen und gereiften Haaransatz falle ich zumindest in Deutschland durch das durchschnittliche aussehen und als Konsequenz ist es unwahrscheinlicher, dass ich auftauche, wenn die Masse der Nutzer andere äußerlichen Charakteristika aufweisen. Das ist ebenfalls nicht verwerflich, denn dadurch wird die Nutzeerfahrung im Durchschnitt positiv beeinflusst. Dieser Effekt war bei allen Diensten zwar merklich, aber nicht der Rede wert, denn wer braucht schon 100 Matches, wenn du dich bereits mit einer Hand voll Kandidaten hinreichend beschäftigen kannst. Da ich auch ein großer Fan eingeschränkter Entscheidungen bin, sehe ich das eher als Pluspunkt.
Der verwerfliche Teil beginnt für mich beim Faktor Geld, insbesondere wenn dieser in einem Pay2Win oder Pay2Use Modell auftaucht, jedoch keinerlei Transparenz gegeben ist. Ja, ich kann es nachvollziehen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, hochskalierbare Anwendungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Schließlich bezahlen wir mit unseren Daten und das sollte in den meisten Fällen bereits kostendeckend wirken. Durch den Wachstumszwang wird in der Transformation zu einer maximal kommerzialisierten Anwendung ausgelotet wie viel Ballast einem Nutzer aufgebrummt werden kann, bis dieser die App nicht mehr nutzen möchte. Da es sich hier um menschliche Urbedürfnisse und innere Triebe handelt, lautet die Antwort: eine Menge. So werden Nutzer mit Fake-Profilen und nichtrealen Chatanfragen oder gar Chatpartnern bei Laune gehalten um ihnen mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Dabei ist keine Push-Benachrichtigung tabu! Diesen ganzen Belastungen stimmst du meistens bereits in der AGBs bei der Anmeldung zu. Die Entwicklung ist meiner Ansicht nach sehr schade. Mich persönlich betrifft es nicht besonders, da ich zum Glück gelernt habe in der nicht-virtuellen Welt auf Leute zuzugehen und mir mittlerweile nichts mehr aus den Apps mache, doch es stimmt mich etwas traurig für die Leute, denen genau dieser Teil schwerfällt und dessen Selbstbewusstsein durch Versprechungen und Verrat der Unternehmen weiteren Schaden nimmt. Solltest du zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl haben, dass du jetzt Geld für die Dienste ausgeben musst um Erfolg zu haben, rate ich dir sie einfach zu deinstallieren und dich davon zumindest temporär zu distanzieren.
Wie sind deine Erfahrungen mit Datingapps? Schreibe deine beste oder schlimmste Geschichte in die Kommentare!
Song of the day
Favorite part
And your body is a temple
And the temple is a prison
And the prison’s overcrowded
And the inmates know it’s flooding
And the body politic is getting sicker by the minute
And the media’s not fake
It’s just very
Inconvenient
Amanda Palmer – Drowning in the Sound