TL; DR. Bevor du laut einen Systemwechsel forderst, solltest du vorerst überlegen ob du das Problem verstehst und es damit lösen würdest.
In Zeiten der Krise sowie in krisenfreien Momenten gibt es eine relativ große Schnittmenge an Profiteuren, die jedoch in Krisenzeiten plötzlich in die nähere Auswahl für Feindbilder idealistischer Vereinigungen rücken. Durch die anhaltende Öffnung der Schere zwischen arm und reich, wird der Ruf nach einer Umverteilung lauter und damit gehen utopische Weltbilder einher, welche als das ideale unumgängliche Ziel gepredigt werden. Der Ton lässt sich häufig pauschalisieren auf eine Umverteilung von oben nach unten, überwiegend eine Umverteilung finanzieller Vermögen eingeleitet durch eine übergeordnete Instanz, dem Staat. In allen mir bekannten Versuchen eine Staatsform ohne etablierte Marktwirtschaft mit Beteiligung der Bevölkerung umzusetzen, war das Resultat Leid in diverser Form für das Volk und in der letzten Iteration ein zerfallen aller staatlichen Strukturen. Es ist naiv anzunehmen, dass das Resultat sich plötzlich ändern würde, nur weil wir aus einem oder zwei der Fehler gelernt haben. Insbesondere wenn die Argumentation des Scheiterns auf die personelle Aufstellung geschoben wird, scheint das System vielleicht in der Vorstellung praktisch, jedoch instabil zu sein und somit ungeeignet. Nun kommen wir zu unserem aktuellen System in unserem Land, dem Kapitalismus!
Kapitalismus bezeichnet zum einen eine spezifische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, zum anderen eine Epoche der Wirtschaftsgeschichte. Die zentralen Merkmale sind in Anbetracht des historischen Wandels und der zahlreichen Kapitalismusdefinitionen sowie ideologischer Unterschiede umstritten. Allgemein wird unter Kapitalismus eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verstanden, die auf Privateigentum an den Produktionsmitteln und einer Steuerung von Produktion und Konsum über den Markt (Marktwirtschaft) beruht. Als weitere konstitutive Merkmale werden genannt: die Akkumulation (für manche das „Herzstück“, Hauptmerkmal und Leitprinzip des Kapitalismus), „freie Lohnarbeit“ und das „Streben nach Gewinn im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb“.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus#:~:text=Kapitalismus%20bezeichnet%20zum%20einen%20eine,anderen%20eine%20Epoche%20der%20Wirtschaftsgeschichte. (Stand 07.02.2021)
Beim Lesen der Definition fällt dir vermutlich schon auf, dass sie sehr schwammig gehalten ist und lediglich Kernideen des Konzepts angemerkt werden. Daher sieht die Realisierung in jedem Staat anders aus. In den Vereinigten Staaten von Amerika lebt die Form mit wenig Transparenz, viel Ausbeutung und systematischen Problemen, welche lokale und internationale Auswirkungen mit sich ziehen können wie wir es in der Finanzkrise 2008/9 beobachten konnten. Vergleichen wir das mit der Realisierung in den skandinavischen Ländern, sehen wir einen herausstechenden Kontrast, der durch den maßgeblichen Unterschied entsteht, dass die Bevölkerung mehr beziehungsweise weniger vor den Auswucherungen des eigenen Wirtschaftskonzepts geschützt wird. In Deutschland befinden wir uns eher im Gebiet der skandinavischen Realisierung, denn hierzulande hat praktisch jeder bis auf wenige skurrile Ausnahmen ein Anrecht auf die Grundsicherung durch den Staat. Die notwendige Finanzierung kommt aus den Steuereinnahmen und Steuern fallen in der Regel immer da an, wo Geld oder Äquivalentes seinen Besitzer oder seine Form ändert. Da dieser Transfer in allen erdenklichen Situationen vorkommen kann, gibt es auch Unmengen an Steuern, wie sie auch von Chin Meyer humoristisch aufgezählt werden. Die Verhandlungsbasis, die du als Staatsbürger hast, ist zum einen deine Stimme, zum anderen dein Beitrag in Schutzstrukturen wie einer Gewerkschaft oder dem Betriebsrat, die gesammelt für deine Interessen eintritt und mit der Quantität der Mitglieder eine bessere Verhandlungsführung besitzt. In den skandinavischen Ländern sind insbesondere die Gewerkschaften sehr mächtig, was zu einer fairen Verteilung von Ressourcen führt und einer Imbalance des Wohlstands entgegenwirkt. Mit den wichtigsten Bereichen, der Bildung und der Grundsicherung machen uns diese Länder einiges vor.
Mit dieser Beobachtung, der langen Zeit des innereuropäischen Friedens und der positiven Entwicklung für das durchschnittliche, allgemeine Wohlergehen ab dem Zeitpunkt wo eine soziale oder sozialartige Marktwirtschaft in einem Land eingeführt wurde, scheint es mir mehr als realitätsfern eben jenes System abschaffen zu wollen, welches Wohlstand schafft. Eine Kontroverse die dadurch entsteht ist, ob dieser Wohlstand gerechtfertigt ist, da insbesondere in den Anfängen solcher kapitalistischen Züge, das System und leider Menschen außerhalb des Systems so lange ausgebeutet werden bis eine überfällige Legislative das Umtreiben Machtgieriger Akteure unterbindet. Das ist in meinen Augen noch weit weg von Perfektion, doch wir gehen gemeinsam Schritt für Schritt in die richtige Richtung. Für alle Ziele, auch die idealistischer Kapitalismuskritiker, ist der Kapitalismus der Beste Rahmen in dem solch ein Wechsel nach und nach stattfinden kann. Kapitalismus als Wort ist in der Diskussion jedoch meistens ein überstrapazierter Kampfbegriff, denn die Marktwirtschaft wie wir sie zurzeit vorfinden, ist bereits derart weit von dem ursprünglichen Systemidee entfernt, dass der Begriff zwar das Konzept beschreibt, doch keines Wegs die diversen Umsetzungen gleichermaßen realitätsgetreu abbilden könnte.
Sehr oberflächlich formuliert, ist der Kapitalismus wie wir ihn pflegen ein Betriebssystem, wie es kurz in diesem TED Talk aufgegriffen wird. Es läuft bei Weitem nicht alles rund, es gibt dutzende, wenn nicht tausende Baustellen an denen gearbeitet werden muss, das Lösen eines Problem an einer Stelle kann mehr Probleme an anderer Stelle erzeugen und am Ende liegt es auch an der Benutzung und den neuen Erweiterungen, beziehungsweise in der Metapher gesprochen, der Software, dessen Herstellern und Nutzern ob Fehler auftauchen, erkannt und aufgezeigt werden. Wenn es signifikante Probleme gibt, werden sie in Angriff genommen. Sollte es zugrundeliegende strukturelle Probleme geben, muss eine Änderung gründlich und rational überlegt werden, bis sie dann rigoros und pedantisch umgesetzt wird. So scheint es mir zum Beispiel im Rahmen der Digitalisierung und dem prognostiziertem Wegfall von 50% der Jobs bisher unumgänglich das aktuelle System der Grundsicherung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ersetzen, zumindest als temporäre oder permanente Lösung. Bis wir zu einem so soliden Betriebssystem wie Windows 10 gekommen sind, sind ebenfalls mehrere Jahrzehnte verstrichen. Kontinuierliche Weiterentwicklung und eine Gesellschaft in der das Ziel ist, Probleme gemeinsam zu lösen, anstatt sich einander auszustechen und mit dem Finger auf Feindbilder zu zeigen, werden uns sowohl national als auch international weiterbringen.
Ich bin mir bewusst, dass ich eine wenig idealistische Haltung zu diesem Thema habe, doch in der Debatte über Fairness finde ich die Argumente für einen Systemwechsel in unserem Fall absolut fehl am Platz und ich wollte für mich selbst eruieren weshalb ich eine derartige Einstellung vertrete. Ein Beispiel einer solchen Debatte wäre das Aufhaben des Patentrechts für das Corona-Vakzin von Biontech und Pfizer. Die Idee dahinter ist, das Patent frei verfügbar zu machen um etwaige Generika-Unternehmen die Chance zu geben, eine entsprechende Produktion für Länder der dritten Welt zu ermöglichen. Ein solches Argument des Veröffentlichungszwangs findest du meistens in Erfolgsgeschichten, doch selten für Unternehmen, die scheitern. Wenn du als Unternehmen ein finanzielles Risiko eingehst von dem Anteile von einem Staatenverbund getragen werden und du erfolgreich bist, sollst du deinen Erfolg kostenlos abgeben, aber solltest du scheitern bleibst du auf dem Eigenanteil sitzen und wirst auf das bekannte Risiko vertröstet? Das scheint mir überaus unfair und die Idee hinter dem ganzen soll doch letztendlich die Fairness sein, oder etwa doch nicht? Diese Idee finde ich aus einer weiteren Perspektive kritisch. Es ist nicht gesichert, dass das Vakzin in den Generika-Produktionsstätten ebenfalls die gleiche Qualität erhält was insbesondere bei solch neuen Verfahren eine ungewollte Wirkung haben könnte, nämlich unzureichend qualitativer Impfstoff und einhergehendes sinkendes Vertrauen. Das können wir insbesondere jetzt gar nicht gebrauchen. Das ist natürlich nur meine ungebildete bürgerliche Ansicht auf den Sachverhalt. In den meisten Systemen, die als absolute Alternative zum Kapitalismus genannt werden, wird die Welt in ihrer vollen Komplexität meist nicht erfasst und bei entstehenden Schäden wirkt der Aufschrei nach einem erneuten Systemwechsel doch nur zu verlockend. Es muss immer Änderung geben, denn wir können stets etwas optimieren, aber bitte lass uns vorher darüber nachdenken!
Hast du ein favorisiertes politisches oder wirtschaftliches System? Nenne es mir in den Kommentaren!
Song of the day
Favorite part
So machen sie einen auf Flippen, um uns zu zeigen, wo’s hier langgeht,
Sagen, sie wollen uns retten und das ’ne neue Wirtschaft ansteht
Ich könnt‘ darauf wetten, dass euer Kontostand sich anhebt,
Ihr seid fette Marionetten, wo ’n Faden dranklebt!
Es ist Wahltag und ich spüre heißen Unmut
Weil ich die Wahl hab‘ zwischen scheiße und dunggut!
Ohrbooten – Politix